Zunächst stellt sich die Frage aller
Fragen: Was zum Teufel ist Legasthenie eigentlich? Darüber grübeln schon die
ForscherInnen seit Jahrzehnten, ohne es wirklich erklärt zu haben. Von Lernbehinderung
zur Störung ist alles dabei, wird aber in der Regel platt mit
„Lese-Rechtschreib-Schwäche“ definiert. Oft habe ich den Eindruck, dass der
Begriff Legasthenie im Volksmund inflationär verwendet wird, sobald jemand
nicht gut lesen oder korrekt schreiben kann – fast so wie die Eigendiagnose
„Depressionen“, wenn man mal ´ne zeitlang nicht gut drauf ist. Aber das ist
eine ganz andere Baustelle…
Aber was bedeutet Legasthenie für mich?
Vorab: Ich hab es tatsächlich diagnostiziert bekommen – eine mittelschwere
Legasthenie. Diagnostiziert verweist ja schon darauf, dass es als etwas
Krankes, nicht Normales angesehen wird. Aber wie drückt sie sich aus? Bei mir
ist das relativ simpel: Mir fehlt das Gefühl für die Sprache. Nun, dass ist
auch nicht ganz richtig, sonst wäre ich wohl eine echt reudige Autorin. Es ist allerdings schwer etwas zu beschreiben, dass man selber
nicht vergleichen kann. Aber vielleicht verdeutlicht es ein Beispiel: Wenn ich nicht weiß, wie ich ein Wort
schreiben soll und nachfrage, so hilft mir die Antwort „Wie man´s spricht.“ so
gar nicht weiter. Also so wirklich gar nicht. Wenn ich wüsste, wie man´s
spricht, so würde ich nicht nachfragen. Letztendlich läuft es bei mir darauf
hinaus, dass ich langsamer lese und das Lesen für mich irgendwie anstrengend
ist und keine entspannende Wirkung hat oder eine Freude für mich ist. Ich lese,
weil mich die Neugier über ein Thema packt und ich mich der Erkenntnis Willen
informieren will – Möglicherwiese lese ich deswegen fast ausschließlich
Sachbücher. Lesen ist für mich nichts, was ich gerne tue, sondern als Mittel
zum Zweck. Im Gegensatz zum Schreiben, wobei ich in stressigen Situationen manchmal „vergesse“,
wie man etwas korrekt schreibt. Ebenso habe ich ein Problem mit N und M – im
Zusammenhang mit dem, den, einem, einen, bla bla bla und trallera. Und trotz dieser Schwierigkeit, die andere
scheinbar nicht haben, merkt es keiner. Faszinierenderweise kommt niemand auf die Idee, ich könnte
Legasthenikerin sein.
Aber fangen wir von Vorne an: In der
Grundschule, 3. oder 4. Klasse, brachte ich nur noch fünfen und sechsen in
Diktaten nach Hause. Glücklicherweise waren schlechte Noten bei meinen Eltern
nichts Dramatisches, sondern etwas, was passieren kann. Mein Lehrer hegte
schließlich den Verdacht, ich könnte Legasthenie haben. Meine Mutter – selber
damit belastet – und mein Vater mussten nicht wirklich überredet werden, das
austesten zu lassen. Und als dann feststand, dass es sich tatsächlich um Legasthenie
handelt, lag es nahe, Förderunterricht zu besuchen. By the way: Meine Mutter betont immer, dass es Förderunterricht und keine Nachhilfe war, weil sie meint, dass es sonst falsch rüber kommt. Ich persönlich sehe das Anders.
Da jedoch meine Mutter aus
eigener Erfahrung weiß, wie schwierig „unbehandelte“ Legasthenie ist und mein Vater -
vernünftiger als jeder Vulkanier - war keine Überzeugung nötig, diesen
Förderunterricht zu finanzieren. Also ging Klein-Kathy Jahrelang zum
Förderunterricht, zeitweise eine Stunde deutsch und eine Stunde englisch
hintereinander. Und wie die Jahre vergingen, konnte sich in meinen
Hirnwindungen die sonderbare Vielfalt des grammatikalischen Wulst soweit
einprägen, dass man mir diese Problematik nicht anmerkt. Das fruchtete soweit,
dass ich nach der Realschule das reibungslos Abitur machen konnte und
schließlich erfolgreich studierte. An
dieser Stelle noch ein ABSURD ADIPÖSES DANKESCHÖN an meine Eltern, die durch
dem Förderunterricht und der stetigen Unterstützung meinen Lebensweg
erleichterten.
Ich hatte wirklich Glück mit meinen Umfeld,
denn weder Familie, Freunde noch im Bereich der Schule hat mich irgendjemand
diesbezüglich geärgert oder mir ein negatives Gefühl bereitet. Möglicherweise,
weil viele nichts davon wussten, schließlich hatte die Legasthenie nie eine
wirkliche Bedeutung für mich. Meine Mutter hatte mir schließlich immer wieder
versichert, dass LegasthenikerInnen nicht dumm sind und manche äußeren Reize
einfach anders im Gehirn verarbeiten als Nicht-LegasthenikerInnen. Das erste,
wirkliche Mal bei dem ich eine negative Reaktion zu meiner Legasthenie erlebte,
war recht spät. Ich war in der 13. Klasse und als ich von meiner Legasthenie
berichtete, wollte mir das eine Klassenkameradin nicht glauben, mit der - ich nenne es mal interessanten - Begründung „Dann
könntest du ja nicht mal deinen Namen richtig schreiben.“ – Jaaaaaa, nee, is
klar. Und richtig sprechen kann ich ja auch nicht…
Ich war über so viel
Ignoranz wenig erfreut. Gut, ich reiche in der Regel wichtige Texte zum
Korrigieren an andere weiter und sein wir mal ehrlich – digitale Rechtschreibkorrektur
ist ein Segen - , aber das jemand mit Legasthenie als quasi dumm gelten könnte,
darauf wäre ich nie gekommen.
Und wie ist das mit dem Schreiben?! Dank
des neutralen bis positiven Umgangs meiner Umwelt mit meiner Legasthenie, hatte
Schreiben und Lesen nie eine negative Assoziation für mich. Warum auch? Ich
habe bereits vor der Diagnose selber Gedichte und Songtexte geschrieben und auch
wenn ich zur Gänze unmusikalisch bin, hat mich nie etwas davon abgehalten. Ich
habe es einfach gerne getan und tue es immer noch gerne, so wie ich schon seit
dem Kindergarten gerne male.
Also habe ich trotz Legasthenie-Feststellung
weiter geschrieben und mit 14 Lenze sogar mein erstes eigenes Buch angefangen.
Und auch wenn unerfreuliche Momente bezüglich meiner Rechtschreibung
auftauchten, so wusste ich stets, dass es halt mal passieren kann, auch ohne
Legasthenie – So what? Die Welt ging
nicht unter und im Zweifelsfall habe ich einfach auf meine Legasthenie
hingewiesen. Ob die Menschen das glauben oder für eine Ausrede halten, keine
Ahnung, aber ich weiß, dass es wahr ist.
Wieso berichte ich eigentlich davon?
Ich
habe mit einer Bekannten gesprochen, die als Psychotherapeutin tätig ist, und
beiläufig von meiner Legasthenie berichtet. Sie war verwundert, dass ich
trotzdem ein gesundes Selbstwertgefühl besitze. Sie meinte, dass viele
LegasthenikerInnen deswegen Probleme mit dem Selbstbewusstsein hätten.
Vermutlich ist vor allem der Umgang meiner Familie ausschlaggebend dafür, dass
das für mich kein Problem darstellt. Jedoch es gibt leider viele
LeidensgenossInnen, denen es anders geht und die vielleicht deswegen manche Dinge
nicht wagen. Wenn die Kreativität in einen brodelt, dann ist es egal, ob
Legasthenie oder nicht. Aber die Scham oder andere, negative Empfindungen
sollten niemanden daran hindern sich (kreativ) im Schreiben auszutoben! Wenn
ich schreibe, dann aus Leidenschaft, aus den Drang der Muse, die eine
Geschichte erzählen will und es ist für den Moment wumpe, ob die
Rechtschreibung stimmt - Ich sagte ja bereits, Rechtschreibkorrektur ist ein
Segen - , denn das ist erst später relevant bei der Bearbeitung. Und man hat
immer noch die Option, sein Geschriebenes einen Vertrauten zu offenbaren,
dessen Verständnis man sich gewiss sein kann.
Das gilt für´s kreative Schreiben genauso wie für das wissenschaftliche
Schreiben und es stimmt Übung macht den
Meister. Sich mit dem Problem auseinanderzusetzen hilft schließlich auch
mit dem Umgang damit.
Ich kann niemand seinen Weg aufzeigen oder
was am besten funktioniert. Ich hatte viel Glück, aber ich bin der lebende
Beweis, dass Legasthenie kein Hindernis ist, zu schreiben und Autorin zu
sein.