Dienstag, 28. Juni 2016

Schreiben mit Legasthenie



Zunächst stellt sich die Frage aller Fragen: Was zum Teufel ist Legasthenie eigentlich? Darüber grübeln schon die ForscherInnen seit Jahrzehnten, ohne es wirklich erklärt zu haben. Von Lernbehinderung zur Störung ist alles dabei, wird aber in der Regel platt mit „Lese-Rechtschreib-Schwäche“ definiert. Oft habe ich den Eindruck, dass der Begriff Legasthenie im Volksmund inflationär verwendet wird, sobald jemand nicht gut lesen oder korrekt schreiben kann – fast so wie die Eigendiagnose „Depressionen“, wenn man mal ´ne zeitlang nicht gut drauf ist. Aber das ist eine ganz andere Baustelle…

Aber was bedeutet Legasthenie für mich? Vorab: Ich hab es tatsächlich diagnostiziert bekommen – eine mittelschwere Legasthenie. Diagnostiziert verweist ja schon darauf, dass es als etwas Krankes, nicht Normales angesehen wird. Aber wie drückt sie sich aus? Bei mir ist das relativ simpel: Mir fehlt das Gefühl für die Sprache. Nun, dass ist auch nicht ganz richtig, sonst wäre ich wohl eine echt reudige Autorin. Es ist allerdings schwer etwas zu beschreiben, dass man selber nicht vergleichen kann. Aber vielleicht verdeutlicht es ein Beispiel:  Wenn ich nicht weiß, wie ich ein Wort schreiben soll und nachfrage, so hilft mir die Antwort „Wie man´s spricht.“ so gar nicht weiter. Also so wirklich gar nicht. Wenn ich wüsste, wie man´s spricht, so würde ich nicht nachfragen. Letztendlich läuft es bei mir darauf hinaus, dass ich langsamer lese und das Lesen für mich irgendwie anstrengend ist und keine entspannende Wirkung hat oder eine Freude für mich ist. Ich lese, weil mich die Neugier über ein Thema packt und ich mich der Erkenntnis Willen informieren will – Möglicherwiese lese ich deswegen fast ausschließlich Sachbücher. Lesen ist für mich nichts, was ich gerne tue, sondern als Mittel zum Zweck. Im Gegensatz zum Schreiben, wobei ich in stressigen Situationen manchmal „vergesse“, wie man etwas korrekt schreibt. Ebenso habe ich ein Problem mit N und M – im Zusammenhang mit dem, den, einem, einen, bla bla bla und trallera.  Und trotz dieser Schwierigkeit, die andere scheinbar nicht haben, merkt es keiner. Faszinierenderweise kommt niemand auf die Idee, ich könnte Legasthenikerin sein.

Aber fangen wir von Vorne an: In der Grundschule, 3. oder 4. Klasse, brachte ich nur noch fünfen und sechsen in Diktaten nach Hause. Glücklicherweise waren schlechte Noten bei meinen Eltern nichts Dramatisches, sondern etwas, was passieren kann. Mein Lehrer hegte schließlich den Verdacht, ich könnte Legasthenie haben. Meine Mutter – selber damit belastet – und mein Vater mussten nicht wirklich überredet werden, das austesten zu lassen. Und als dann feststand, dass es sich tatsächlich um Legasthenie handelt, lag es nahe, Förderunterricht zu besuchen. By the way: Meine Mutter betont immer, dass es Förderunterricht und keine Nachhilfe war, weil sie meint, dass es sonst falsch rüber kommt. Ich persönlich sehe das Anders.  
Da jedoch meine Mutter  aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig „unbehandelte“ Legasthenie ist und mein Vater - vernünftiger als jeder Vulkanier - war keine Überzeugung nötig, diesen Förderunterricht zu finanzieren. Also ging Klein-Kathy Jahrelang zum Förderunterricht, zeitweise eine Stunde deutsch und eine Stunde englisch hintereinander. Und wie die Jahre vergingen, konnte sich in meinen Hirnwindungen die sonderbare Vielfalt des grammatikalischen Wulst soweit einprägen, dass man mir diese Problematik nicht anmerkt. Das fruchtete soweit, dass ich nach der Realschule das reibungslos Abitur machen konnte und schließlich erfolgreich studierte.  An dieser Stelle noch ein ABSURD ADIPÖSES DANKESCHÖN an meine Eltern, die durch dem Förderunterricht und der stetigen Unterstützung meinen Lebensweg erleichterten.

Ich hatte wirklich Glück mit meinen Umfeld, denn weder Familie, Freunde noch im Bereich der Schule hat mich irgendjemand diesbezüglich geärgert oder mir ein negatives Gefühl bereitet. Möglicherweise, weil viele nichts davon wussten, schließlich hatte die Legasthenie nie eine wirkliche Bedeutung für mich. Meine Mutter hatte mir schließlich immer wieder versichert, dass LegasthenikerInnen nicht dumm sind und manche äußeren Reize einfach anders im Gehirn verarbeiten als Nicht-LegasthenikerInnen. Das erste, wirkliche Mal bei dem ich eine negative Reaktion zu meiner Legasthenie erlebte, war recht spät. Ich war in der 13. Klasse und als ich von meiner Legasthenie berichtete, wollte mir das eine Klassenkameradin nicht glauben, mit der - ich nenne es mal interessanten - Begründung „Dann könntest du ja nicht mal deinen Namen richtig schreiben.“ – Jaaaaaa, nee, is klar. Und richtig sprechen kann ich ja auch nicht…
Ich war über so viel Ignoranz wenig erfreut. Gut, ich reiche in der Regel wichtige Texte zum Korrigieren an andere weiter und sein wir mal ehrlich – digitale Rechtschreibkorrektur ist ein Segen - , aber das jemand mit Legasthenie als quasi dumm gelten könnte, darauf wäre ich nie gekommen.

Und wie ist das mit dem Schreiben?! Dank des neutralen bis positiven Umgangs meiner Umwelt mit meiner Legasthenie, hatte Schreiben und Lesen nie eine negative Assoziation für mich. Warum auch? Ich habe bereits vor der Diagnose selber Gedichte und Songtexte geschrieben und auch wenn ich zur Gänze unmusikalisch bin, hat mich nie etwas davon abgehalten. Ich habe es einfach gerne getan und tue es immer noch gerne, so wie ich schon seit dem Kindergarten gerne male. 
Also habe ich trotz Legasthenie-Feststellung weiter geschrieben und mit 14 Lenze sogar mein erstes eigenes Buch angefangen. Und auch wenn unerfreuliche Momente bezüglich meiner Rechtschreibung auftauchten, so wusste ich stets, dass es halt mal passieren kann, auch ohne Legasthenie – So what? Die Welt ging nicht unter und im Zweifelsfall habe ich einfach auf meine Legasthenie hingewiesen. Ob die Menschen das glauben oder für eine Ausrede halten, keine Ahnung, aber ich weiß, dass es wahr ist.

Wieso berichte ich eigentlich davon? 
Ich habe mit einer Bekannten gesprochen, die als Psychotherapeutin tätig ist, und beiläufig von meiner Legasthenie berichtet. Sie war verwundert, dass ich trotzdem ein gesundes Selbstwertgefühl besitze. Sie meinte, dass viele LegasthenikerInnen deswegen Probleme mit dem Selbstbewusstsein hätten. Vermutlich ist vor allem der Umgang meiner Familie ausschlaggebend dafür, dass das für mich kein Problem darstellt. Jedoch es gibt leider viele LeidensgenossInnen, denen es anders geht und die vielleicht deswegen manche Dinge nicht wagen. Wenn die Kreativität in einen brodelt, dann ist es egal, ob Legasthenie oder nicht. Aber die Scham oder andere, negative Empfindungen sollten niemanden daran hindern sich (kreativ) im Schreiben auszutoben! Wenn ich schreibe, dann aus Leidenschaft, aus den Drang der Muse, die eine Geschichte erzählen will und es ist für den Moment wumpe, ob die Rechtschreibung stimmt - Ich sagte ja bereits, Rechtschreibkorrektur ist ein Segen - , denn das ist erst später relevant bei der Bearbeitung. Und man hat immer noch die Option, sein Geschriebenes einen Vertrauten zu offenbaren, dessen Verständnis man sich gewiss sein kann.  Das gilt für´s kreative Schreiben genauso wie für das wissenschaftliche Schreiben und es stimmt Übung macht den Meister. Sich mit dem Problem auseinanderzusetzen hilft schließlich auch mit dem Umgang damit.

Ich kann niemand seinen Weg aufzeigen oder was am besten funktioniert. Ich hatte viel Glück, aber ich bin der lebende Beweis, dass Legasthenie kein Hindernis ist, zu schreiben und Autorin zu sein.

Samstag, 11. Juni 2016

Lesung vom 7. Juni 2016 in Münster

Die Ruhrliteratur-Lesung des 7. Junis 2016 im SpecOps (Münster) startete trotz Unwetter pünktlich mit der erheiternden Musik von Herr Tapete, dessen Lieder einen musikalischer Übergang zwischen den einzelnen Texten bildeten.
Als Moderatorin führte uns die wunderbare Ina Lammers, die mich direkt als erste Leserin auf die Bühne bat. Nach ein paar provisorischen Fragen zu meinen kreativen Ergüssen durfte ich meinen Text aus der aktuellen DueStory Keller, Schlüssel  vorlesen.
Daraus folgte das abwechselnde Vortragen meiner MitleserInnen sowie Herr Tapetes Lieder. Neben  Nicholas Wieling, welcher auch einen Abschnit aus seinen Erstlingswerk vorlas, trug auch Natascha Herkt ihren Text aus der besagten Anthologie vor. Autorenkollege Lars Hannig sowie Ina Lammer lasen ihre Werke aus dem Sammelband Struktur, Tapete
Alles im allen war der Abend trotz aufgewärmter Location inspirierend und eine gute Möglichkeit, das einjährige Bestehen des Ruhrliteratur-Verlages zu feiern.

In diesem Sinne einen herzlichen Dank an meine Mitstreiter, meinen Begleitern sowie dem Ruhrliteratur-Verlag, aber auch an den anwesenden Zuhörern und den SpecOps, das uns die Möglichkeit zu dieser Lesung gegeben haben.